Richard Wagner als Regisseur
2013: Augsburg
Wagner als... Regisseur
Mai 2013: Eine Tannhäuser-Inszenierung wird abgesetzt, weil sich Zuschauer nach der Aufführung wegen Übelkeit in ärztliche Behandlung geben müssen. Ab jetzt gibt es diesen Tannhäuser nur noch als Konzert. Das hätte Wagner nicht gewollt! Und zwar weder die offensichtliche regieliche Entgleisung, noch die Absetzung. Für Wagner war Theater ein Gesamtereignis, in dem Text, Musik, Kostüm und allerdings auch die inszenatorische Komponente zusammen gehören. Wie keiner vor ihm hat Wagner den sprachlichen, mimischen und gestischen Ausdruck des Sängers gewollt und erarbeitet. Auch Verdi hat sich um die Realisierung von szenischen Momenten gekümmert, aber er hat seinem Hauptdarsteller nicht gesagt und vorgespielt, wie der bei welchem Orchesterakzent den Kopf warum zu heben hat. Wagner schon. Wagner als erster Regisseur der Musikgeschichte hat sämtliche Komponenten des heutigen Regieberufs auf sich vereinigt – mit Ausnahme von einer. Wagner hat bei Leseproben die Bedeutung herausgearbeitet, mit den Sängern am mimischen Ausdruck gefeilt, ihre Körperhaltung korrigiert und die Bewegungen, also die sogenannten Gänge auf der Bühne, inszeniert. Er hat mit den Sängern gesprochen, und er hat vor allem vorgespielt. Undenkbar, dass Verdi sich seiner Aida an den Hals geworfen hätte, um aus Radames einen besseren Bühnenliebhaber zu machen. Wagner hat sich natürlich auch um die Umsetzung der von ihm selbst vorgegebenen oder besser visionierten Szenen bemüht, hat also Kostüm, Dekoration und Licht organisiert. Nur eines gab es beim Regisseur Wagner nicht: eine Konzeption. Werk und Aussage waren eins, die Trennung passierte erst später, etwa um 1920. Der Vortrag misst die aktuelle Regie-Situation am Berufsbild Regisseur, das Richard Wagner vor gut 150 Jahren ins Leben gerufen hat. Mit vielen Ausschnitten aus aktuellen Wagner-Inszenierungen.
Sabine Sonntag | Copyright 2020